Film

Clarice Starling – Das Schweigen der Lämmer

Starke Frauenrollen sind leider viel zu rar gesät. Leistete mit Hilfe eines Psychopathen wichtige Pionierarbeit: Clarice Starling.

Das Schweigen der Lämmer (1991) – Die Story

Drehbuch: Ted Tally
Die junge FBI-Agentenanwärterin Clarice Starling soll im Gefängnis den kannibalistisch veranlagten Serienmörder Hannibal Lecter besuchen, um wertvolle Information über den möglichen Verbleib des noch aktiven Serienmörders „Buffalo Bill“ zu erlangen. Lector beginnt ein perfides Katz- und Mausspiel mit Starling und dem FBI, denen auf der Jagd nach „Buffalo Bill“ die Zeit davonrennt.

 

Die Einführung von Clarice Starling

An einem nebligen Morgen absolviert die junge FBI-Anwärterin Clarice Starling einen anstrengenden Hindernislauf in einem Wald von Virginia. Ein FBI-Ausbilder stoppt sie und teilt ihr mit, dass sie im Büro von Jack Crawford erwartet wird. Starling läuft in ihrem verschwitzten Trainingsanzug zurück in die FBI-Trainingsakademie – vorbei an zahlreichen weiteren FBI-Anwärtern, die ihrem täglichen Training nachgehen. Crawford, Leiter des Büros für Verhaltensforschung, ist noch nicht an seinem Platz und so hat Starling kurz Zeit sich in dessen Büro umzuschauen. Dort entdeckt sie an einer Pinnwand Bilder- und Zeitungsausschnitte über den Fall des Serienmörders Buffalo Bill.

Crawford betritt den Raum und spricht über Starlings bisheriges Training an der Akademie, dass Starling die Beste ihres Jahrgangs sei und er eine Aufgabe für sie hätte. Aktuell findet nämlich eine Befragung aller inhaftierten Serienmörder statt, mit dem Ziel von diesen Verhaltensprofile zu erstellen, die für zukünftige Fälle eine wichtige Hilfe sein könnten. Ein besonders interessanter Serienmörder verweigert bisher aber die Aussage und Starling soll ihn zur Kooperation bewegen: Hannibal Lector. „Wieso die Eile“ wundert sich Starling und hakt nach, ob es da eine Verbindung zum aktuellen „Buffalo Bill“-Fall geben würde. Crawford gibt zu, sich hier eventuell Fortschritte zu erhoffen. Er warnt dann Starling ausdrücklich davor Lector gegenüber irgendetwas persönliches preiszugeben – diesen Mann möchte sie nicht in ihrem Kopf haben.

It’s a man’s world – Clarice Starling behauptet sich in einer Männerdomäne. (Foto: ©Twentieth Century Fox)

Analyse: Toughe Streberin in einer rauhen Welt

„Hurt, Agony, Pain – Love it or Die“ – dieser Slogan hängt auf dem Trainingsgelände, auf dem wir unsere Hauptfigur das erste Mal treffen. Clarice Starling ist eine toughe junge Frau – aber so einfach läßt sich die Einführung unser Protagonistin hier dann doch nicht zusammenfassen. Ein bisschen mehr Nuanciertheit gibt es schon zu Bewundern, inklusive einer ganz subtilen Vorbereitung des Zuschauer auf das große persönliche Trauma der Hauptfigur.

Erst einmal werden in der Eröffnungsszene aber vor allem zwei Dinge etabliert: der Ehrgeiz von Starling und ihr ganz besonderes Umfeld. Die Trainingsszene zeigt uns Starling als ehrgeizige Kämpferin, die an ihre körperliche Grenzen geht. Und wem der „FBI-Academy“-Aufdruck auf ihrem durchschwitzten Pullover nicht auffällt, der wird spätestens durch die FBI-Mütze ihres Ausbilders darauf hingewiesen, dass diese Frau einer durchaus ungewöhnlichen Tätigkeit nachgeht.

Starling geht bei dieser aber nicht nur an ihr körperliches Limit, sie hat es dabei auch noch mit einem Umfeld zu tun, das sehr Testosteron-dominiert ist. Wundervoll auf den Punkt gebracht wird dies in der Szene, in der Starling einen Aufzug in der Akademie betritt, der randvoll mit Männern besetzt ist. Zugegeben, wir sehen davor in der Akademie durchaus auch die ein oder andere Frau. Aber es ist schon bezeichnend, dass Clarice im Aufzug auf dem Weg nach oben nur Männer trifft. Dieses Motiv wird ähnlich im späteren Verlauf des Film übrigens noch einmal aufgegriffen, als Starling von einer Gruppe männlicher Polizisten umringt ist, sich dort sichtbar unwohl fühlt und erst einmal über ihren Schatten springen muss, bevor sie diesen dann Anweisungen gibt.

In der Szene im Aufzug ist dieses Unwohlsein von Clarice ebenfalls deutlich zu spüren und dem Zuschauer wird klargemacht, dass die Figur zwar einen starken Willen besitzt, aber noch keine Führungsrolle innehat. Eines hat sie aber durch diese Einführung bereits sicher – den Respekt des Zuschauers. Und das ohne viel Worte, denn außer eines „Thank you, Sir“ und „Yes, Sir“ kommt da erst mal nicht viel – stattdessen lernen wir den Charakter einfach dadurch kennen, dass wir ihn in seinem Umfeld beobachten. Da dieses Umfeld für eine junge Frau aber kein leichtes ist steigt hier schon automatisch deren Ansehen beim Betrachter – und wir werden auf die Seite der Figur gezogen.

Die Büroszene mit Crawford verfolgt dann unterschiedliche Zwecke. Wir erhalten einmal die nötigen ersten Infos zum „Buffalo Bill“-Fall und der Mission, mit der Starling beauftragt wird. Und dann bekommen wir natürlich noch Informationen zu Clarice selbst geliefert. Gelöst wird dies hier mit Hilfe einer Mentor-Figur: Jack Crawford. Dieser beschreibt kurz die bisherigen Erfolge von Starling, um so zu untermauern, warum er genau sie für diese Mission ausgewählt hat. Dieser Weg dem Zuschauer einen groben Lebenslauf der Hauptfigur zu präsentieren ist eine sehr oft gesehene Technik. Nicht unbedingt die kreativste, aber natürlich verdammt effizient.

Viel interessanter sind aber die kleinen Dinge, die sich in diesem Gespräch noch entdecken lassen. Denn während Crawford vor allem Fakten liefert, gibt es von Starling die deutlich interessanteren Reaktionen dazu. Diese bestätigen oft das was Crawford erzählt, aber eben nicht auf eine nüchterne, sondern auf eine emotionale Art und Weise – und das ist ja immer der bessere Weg.

Wenn Crawford also davon spricht, dass Starling schon damals in seiner Vorlesung durchaus aufmüpfig war und ihm die Stirn geboten hat, dann ist das zwar schön zu hören, aber eben nur ein Bericht aus zweiter Quelle. Das alles wird viel lebendiger, als Starling kurz darauf selbst das Wort ergreift. Als Crawford sich daran erinnert, dass er Starling damals ein 1 als Note gegeben hat, kontert Clarice, ohne zu zögern, dass es ja nur eine 1 Minus war. Und man merkt Clarice dabei an, dass sie doch verdammt gerne die 1 gehabt hätte.

Crawford lieferte also eine Geschichte über eine strebsame und kein Blatt vor den Mund nehmende Studentin, aber erst dadurch, dass Starling ihn direkt daraufhin korrigiert, und damit eben genau den anschaulichen Beweis für diese Charaktereigenschaft liefert, wird diese Geschichte wirklich überzeugend. Gleich am Ende legt sie da dann auch noch einen drauf, als sie Crawford damit konfrontiert, dass es in dieser Mission ja doch um mehr geht, als dieser bisher zugegeben hat.

Der Schein trügt – diese Schülerin ist tougher als man denkt. (Foto: ©Twentieth Century Fox)

Das ist einfach ein wundervolles Beispiel dafür, dass man Exposition eben nicht einfach nur via der Auflistung von Fakten transportieren darf, sondern sie auch lebendig machen muss. Nur dann akzeptieren wir eine Figur wirklich so, wie der Autor es auch gerne möchte.

Bleibt nur noch eine Frage. Gibt es in dieser ersten Szene eigentlich schon irgendetwas bezüglich des großen Traumas der Hauptfigur zu entdecken, welches ja im späteren Verlauf noch eine wichtige Rolle in der Geschichte spielen wird und als Namensgeber für das Buch und den Film herhält? Es wird nicht direkt angesprochen, aber ein kleiner Hinweis, dass hier irgendetwas im Busch sein könnte, hat der Autor dann doch versteckt. Nämlich das gute alte „Drücke bloß nicht den roten Knopf“-Szenario.

Wenn ich eine Geschichte damit beginne, dass Person A eine Person B darauf hinweist, bloß im weiteren Verlauf nicht diesen einen großen roten Knopf zu drücken, wissen Zuschauer auf dem ganzen Globus was garantiert im Laufe der Geschichte passieren wird: Person B wird wider besseren Wissens den roten Knopf drücken. In „Das Schweigen der Lämmer“ ist der rote Knopf die eindrückliche Warnung von Crawford, dass Starling bloß nichts persönliches von sich an Lector preisgeben soll. Damit ist dem Zuschauer, wenn auch erst einmal unterbewusst, klar – Lector wird wohl irgendeinen persönlichen Schwachpunkt bei Starling finden. Und so hat man mal eben noch einen kleinen Teaser für das Publikum eingebaut.

Ein kleiner Teaser und eine Streberin in eine rauen Männerwelt – das sind doch ganz interessante Aussichten für ein großes Filmvergnügen. Trotzdem reicht es am Ende nicht für Clarice, die interessanteste Figur des Filmes zu werden. Mal schauen, vielleicht schreibe ich ja eines Tages, bei einem leckeren Glas Chianti, einmal über ihren alles überstrahlenden Gegenspieler…

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