Abgeschweift

François Ozon und die zwei Gesichter des Voice-Over

Voice-Over gelten ja oft als verpönt. Hat aber alles zwei Seiten, wie ein ein französischer Auteur gerade beweist. La scène est à vous, Monsieur Ozon.

Show, don’t tell
Es war an der Zeit. Nach längerer Abstinenz habe ich für die Kollegen von filmszene.de mal wieder eine Kritik verfasst. „Gelobt sei Gott“ ist das neueste Werk des französischen Autorenfilmers François Ozon („8 Frauen“, „Swimming Pool“) und über weite Strecken ziemlich gutes Charakterkino (für meine ausführliche Kritik bitte hier entlang). Und wie das so ist, wirft man nebenbei natürlich auch einen neugierigen Blick auf die Einführung der Hauptfigur. Sollte man von einem französischen Autorenfilmer doch etwas cleveres erwarten können, n’est-ce pas? Denkt man, lehnt sich freudig zurück und möchte genießen. Und dann kommt das Voice-Over.

„Any idiot can write voice-over narration to explain the thoughts of a character.“ So rechnet der Drehbuch-Guru Robert McKee im Film „Adaptation“ mit dem Stilmittel ab. Und fasst so die landläufige Meinung in Drehbuchkreisen zu diesem Stilmittel eigentlich ganz gut zusammen. Man möchte gar nicht wissen, wie er auf Ozons Einführung von Alexandre, der Hauptfigur von „Gelobt sei Gott“, reagieren würde. Ozon nutzt das Voice-Over nämlich auf die denkbar plumpste Art und Weise, in dem seine Hauptfigur sich nämlich einfach direkt via Voice-Over beim Publikum vorstellt. „Show, don’t tell“ sagt man ja immer so gerne im Drehbuchjargon. Darauf pfeift Ozon und so erfahren wir auf die direkteste mögliche Art Fakten zu unserer Hauptfigur. Zum Beispiel, dass Alexandre Vater von fünf Kindern ist.

Kino ist kein Hörbuch
Natürlich, solch eine Einführung ist gnadenlos effizient. Die wichtigsten Infos direkt von der Hauptfigur säuberlich aufgelistet. Aber ist alles eben auch ziemlich einfallslos, wie wir hier ja auch schon einmal an einem anderen Beispiel diskutiert hatten. Einen aktuellen Fall gibt es auch gerade im Kino zu sehen. In „Ad Astra“, einem sonst ziemlich gelungenen Film (grandiose Kameraarbeit), darf Brad Pitt gleich mehrmals via Voice Over Sachen erzählen, die absolut offensichtlich sind (ob die eigene Angst vor dem Treffen mit dem Vater oder die Angst des Kollegen vor einer Rettungsaktion, all dies drücken hier bereits die jeweiligen Gesichter der Beteiligten aus. In solchen Momenten ist die Stimme aus dem Off wirklich sinnlos).

Aber zurück zu „Gelobt sei Gott“. Nur kurz nach dem etwas plumpen Intro zeigt uns Ozon dann selbst eindrucksvoll, das alles eine Frage der Umsetzung und des Kontexts ist. Und das ein scheinbar plumpes Stilmittel, richtig eingesetzt, doch seine Berechtigung haben kann. Hat eben alles zwei Seiten im Leben. Das mit Stimmen aus dem Off zieht „Gelobt sei Gott“ in der ersten halben Stunde nämlich auch noch auf einer anderen Ebene ziemlich konsequent durch. Ozon läßt seine Figuren via Voice-Over sich nämlich gegenseitig Brieftexte und Emailverkehr vorlesen. Wirkt relativ dröge und klingt erst einmal so gar nicht cineastisch. Natürlich, Briefverkehr in einem Film darzustellen ist keine einfache Sache. Aber müsste man da nicht eine andere Lösung finden, als diesen einfach im Off ablesen zu lassen. Kino ist doch kein Hörbuch, sondern ein audiovisuelles Medium. Wo ist hier die visuelle Energie?

Voice-Over-Rehab
Was aber, wenn man den Film gerade dieser Energie berauben möchte? Im Kontext der Geschichte entpuppt sich das Stilmittel hier genau deswegen tatsächlich als richtig und wertvoll. In „Gelobt sei Gott“ kämpft Alexandre gegen die katholische Kirche, die wider besseren Wissens einen pädophilen Priester mit Kindern arbeiten läßt. Alexandre, der von diesem Priester als Kind einst missbraucht wurde, sucht als frommer Christ zu Beginn den Dialog mit der Kirche, doch diese hält ihn hin.

Dieser Kampf gegen die übermächtige Institution, das mühsame Hin und Her, ohne dass wirklich irgendein Fortschritt in Sicht wäre – all das ist so unglaublich frustrierend für Alexandre. Und Energie raubend, da nichts vorangeht und die Kirche die Sache offensichtlich aussitzen möchte. Irgendwann wird er ja schon frustriert aufgeben. Genau dieser Effekt wird durch dein Einsatz des monotonen Voice-Overs und das Vorlesen des inhaltlich stagnierenden Briefverkehrs wundervoll unterstrichen. So kann man eine scheinbare Schwäche eines Stilmittels clever in eine Stärke umwandeln. Womit das Voice-Over wieder ein kleines bisschen rehabilitiert wäre. Aber, lieber François, das mit der Figureneinführung kriegen wir das nächste Mal trotzdem bestimmt etwas kreativer hin…

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