Serie

Tony Soprano – Die Sopranos

Auch ein Mafiosi kann mal in die Midlife-Crisis rutschen. Sollte aber besser keiner der Kollegen erfahren. Will sein Leben auf die Reihe kriegen, bevor er bei den Fischen schläft: Tony Soprano.

Die Sopranos (1999 – 2007) – Die Story

Drehbuch Episode 1: David Chase
Tony Soprano (James Gandolfini) ist ein hochrangiger Mafiosi in New Jersey. Aber auch die haben, neben den Auswirkungen des etwas blutigen Konversationsstils, so ihre normalen Problemchen. Darunter auch mal eine Midlife-Crisis. Die Kinder rebellieren, die Frau ist unglücklich und die eigene Mutter treibt Tony regelmäßig zu Panikattacken. Zeit für einen Besuch bei einer guten Psychotherapeutin. Vielleicht lässt sich das Leben ja so in den Griff kriegen…

 

Die Einführung von Tony Soprano

Tony sitzt bei der Psychotherapeutin Dr. Melfi. Und fühlt sich spürbar unwohl. Das sein Hausarzt ihm eine Panikattacke diagnostiziert hat, lächerlich. Läuft doch wieder. Und mit Psychiatern kann Tony sowieso nicht reden. Aber Dr. Melfi bohrt nach. Was an dem Tag der Attacke denn davor passierte? Tony grübelt. Und beginnt zu erzählen: Er gibt zu, er hatte beim Aufwachen nachgedacht. Und das Gefühl bekommen, irgendwie schon immer am Ende seines Lebens gestanden zu haben.

Für Ablenkung sorgte an dem Morgen aber glücklicherweise die von ihm adoptierte Wildentenfamilie. Die Tony liebevoll fütterte. Was ihm den Spott seiner Frau Carmela und seiner beiden Kinder einhandelte. Von seiner Frau bekam er dann auch noch ein paar provozierende Kommentare hinterhergeworfen. Aber das geht ja Dr. Melfi eigentlich gar nichts an. Tony stoppt. Er möchte die Sitzung abbrechen. Aber Dr. Melfi bleibt hartnäckig. Bitte weitermachen…

Tony Soprano in "Die Sopranos" - Zitat

Die Analyse:

Zeit für einen amerikanisch-italienischen Leckerbissen. Und eine ganz besondere Hauptfigur: Tony Soprano, Mafiosi in der Midlife-Crisis. Ein Thema, das bis dato im Mafia-Genre ja nicht wirklich überrepräsentiert war. „Die Sopranos“ macht aber bereits zu Beginn klar, dass diese Serie keine ausgetrampelten Pfade geht. Die Einführung von Tony kommt sehr schnell auf den Punkt. Gleich in den ersten Minuten wird die psychische Instabilität der Figur ins Rampenlicht gerückt. Und dem Zuschauer klar gemacht, was er von dieser Serie und seiner Figur erwarten darf.

Mit der Psyche einer Figur ist das ja immer so ein Problem. Natürlich gibt es viele äußerliche Anzeichen, die man im Bild darstellen kann. Richtig in den Kopf der Figur einzutauchen ist aber schon deutlich schwieriger. Wie gibt man dem Zuschauer aber nun den Zugang zu dem, was Tonys Oberstübchen bewegt? Ein unmotiviertes Voice-Over wäre eine Möglichkeit. Eine etwas natürlicher wirkende Art der Einführung aber lobenswerter.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Kopf hoch – die Frau hat alles im Blick (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Der Blick der Frauen
Genau deswegen schickt die Serie Tony gleich zu Beginn auf die Couch. Mit der Psychotherapeutin Dr. Melfi bekommen wir eine Mittelsfrau, über die wir sozusagen Zugang zu Tonys Kopf erlangen. Solch eine außenstehende Figur ist für eine Charaktereinführung oft von unschätzbarem Wert, weil er oder sie geschickt temporär die Rolle von uns Zuschauern einnehmen kann. Und Fragen an unsere Figur stellt, die wir auch gerne beantwortet hätten. Die Antworten (und auch Nicht-Antworten) von Tony auf dieses „Kreuzfeuer“ liefern dann genau die Infos, die wir für eine erste Einschätzung unserer Hauptfigur benötigen.

Zuerst ist Tony aber alleine. Nervös im Wartezimmer sitzend, blickt er nachdenklich auf die Statue einer nackten Frau, die am anderen Ende des Raumes steht. Und gleich der erste Shot ist ein Statement. Mit viel Symbolik. Die Kamera ist geschickt so platziert, dass Tony unterwürfig zu der Statue hochblicken muss. Es beginnt dann ein kurzes intensives Blickduell, bei dem die Kamera sowohl auf Tony als auch auf die Statue langsam zufährt. Und während die Statue ihren Blick unverändert selbstbewusst auf Tony wirft, wird diesem bei dem immer intensiveren Anblick der Dame spürbar unwohl.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
2 Stühle sind zu viel Auswahl. Wo soll ich mich setzen? (Foto: ©Warner Home Video – DVD)

Die Angst vorm Psychiater
Eine ihn zur Verzweiflung treibende Mutter, die selbstbewusste Ehefrau daheim und die komplizierten Affären auswärts – der kleine Psychokrieg mit der Statue steht natürlich symbolisch für die Situation von Tony. Und dessen Problemen mit dem weiblichen Geschlecht. Wovon der Zuschauer jetzt zwar noch nichts weiß, aber dafür schon einmal mit einem netten Teaser versorgt wird. Und es wird deutlich, dass das Seelenkostüm unserer Hauptfigur wohl durchaus fragil ist.

Das mit den starken Frauen im eigenen Umfeld wird dann auch direkt in Fleisch und Blut übersetzt: Dr. Melfi betritt den Raum und ruft zur Therapie. Und die Unsicherheit von Tony wird nicht weniger. Als erstes ist er sich unsicher, auf welchen der zwei Stühle im Raum er sich setzen soll. Und dann folgt ein Moment peinlicher Stille, bei der Tony mit unsicherem Blick umherschweift und erst einmal einen direkten Augenkontakt mit Dr. Melfi vermeidet. Nervös auf seinen Fuß klopfend wartet er darauf, dass sie den ersten Schritt macht. Worte fallen keine. Ein wundervolles Beispiel dafür, dass man bei einer Einführung auch einfach mal seinen Schauspielern vertrauen kann. Nicht alles muss durch Worte ausgedrückt werden, Mimik und Gestik sind oft viel effizienter.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Mal ganz langsam. Ob das auch wirklich stimmt mit der Panikattacke? (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Der unsichere Mafiosi
Das zeigt sich auch, als Dr. Melfi Tony dann damit konfrontiert, dass sein Hausarzt ihm eine mögliche Panikattacke attestiert hat. Tony hebt kurz die Hand um zu intervenieren, traut sich aber nicht die Psychotherapeutin zu unterbrechen. Ebenfalls ein sehr aussagekräftiger Moment, der das nun folgende Psychoduell der beiden gut zusammenfasst. Tony will zwar eigentlich nicht seine Probleme zugeben, ist aber doch zu schwach um das Gespräch einfach abzubrechen. Und so kommt er dann später eben doch ins Plaudern.

Oder, mindestens genauso vielsagend, eben auch nicht. Nachdem Tony erst einmal in den Raum wirft, dass die Befunde ja eigentlich gar nicht die Diagnose Panikattacke rechtfertigen, bleibt Dr. Melfi hartnäckig. Auf ihr Nachbohren, ob Tony denn meint wirklich keine Panikattacke gehabt zu haben, bleibt er stumm. Und wieder sagt dann seine Gestik und Mimik mehr als tausend Worte. Sein unsicherer Blick zeigt, dass er mit der Frage überfordert ist und er wohl doch innerlich weiß, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Er aber offensichtlich noch zu stolz ist, das offen zuzugeben.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Schau mir in die Augen Zuschauer, wenn du die Wahrheit wissen willst (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Das Band mit dem Zuschauer
Diese Doppeldeutigkeit wird dann auch noch auf wundervolle Art und Weise in einem anderen Kontext eingesetzt. Als Dr. Melfi Tony fragt, was denn sein Beruf sei, teilt er ihr mit, dass er im Müllgeschäft tätig ist. Passt jetzt nicht so ganz zu seinem extrem stylischen Outfit. Aber wieder ist es dann die Mimik von Tony, über die wir als Zuschauer weitere Infos bekommen. Auf sehr direkte Weise. Tony blick nach seiner Antwort nämlich für eine kurze Millisekunde vielsagend direkt in die Kamera, um sich dann wieder Dr. Melfi zu widmen.

So kurz dieser Blick auch ist, es ist ein wundervoller intimer Moment mit dem Zuschauer. Mit einer klaren Botschaft: „Hey, wir wissen beide, dass ich hier gerade geflunkert habe“. Ein schönes Mittel, um auch das Band zwischen Tony und dem Zuschauer zu stärken. Es ist dabei bezeichnend, dass sein nächste Aussage die ist, dass er unmöglich mit einer Psychotherapeutin über intime Dinge reden kann. Die Psychotherapeutin bekommt eine Lüge serviert, aber du als Zuschauer kriegst den wahren Tony. Wir als Publikum bekommen hier also so etwas wie die offizielle Einladung in Tonys Kopf.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Der Wetterbericht würde wohl ein Tief anzeigen. Eine Zeitung als Charakterspiegel (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Voice-Over mit Tiefe
Unsere Psychotherapeutin bleibt aber hartnäckig und so gibt Tony dann Stück für Stück doch auch ihr gegenüber klein bei. Er erzählt, was in den Stunden vor seinem Zusammenbruch passiert ist und beschreibt, wie er schon beim Aufwachen über sein Leben nachgedacht hat. Und darüber, ob er nicht den besten Teil davon schon hinter sich hat. Diese Stimme aus dem Off ist nun natürlich eine ziemlich direkte Informationsvermittlung zur Psyche der Figur. Aber gerade, weil Tony am Anfang erst einmal geblockt hat, wirkt es an dieser Stelle eben nicht ungelenk. Dr. Melfi (und wir als Zuschauer) haben uns diesen Blick in Tonys Kopf ja erst einmal erkämpfen müssen.

Und nun bekommen wir als Belohnung einen ersten richtigen Blick auf das Leben unserer Hauptfigur. Und was diese wirklich bewegt. Auch hier arbeitet die Einführung geschickt wieder mit mehreren Ebenen, um ihre Botschaft zu verstärken. So philosophiert Tony laut im Off über eine Welt, die für ihn voller Ängste ist und in der er den Halt verloren hat. Während er darüber schwadroniert, liest er im Bild eine Zeitung. In der wiederum von einem drohenden Kollaps des Gesundheitssystems die Rede ist. Und daneben steht eine Anzeige, bei der man mal eben schnelles Geld gewinnen kann. Die Kohle stimmt, die Gesundheit ist im Eimer – so kann auch eine Zeitung zum Spiegel eines Charakters werden.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Fütterungszeit. Tony taucht in seine heile Welt ab (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Enten zur Charakterbildung
Und dann sind da natürlich die Enten. Die freudige Reaktion Tonys auf deren Auftauchen, trieft natürlich nur so von Symbolik. Das perfekte Bild dafür, dass Tony verzweifelt auf der Suche ist wieder Sinn im Leben zu finden. Den er in seinem Alltag schmerzlich vermisst. Das im normalen Leben etwas nicht stimmt, wird dabei gleich mehrmals während der Einführung von Tony verdeutlicht.

Zum Beispiel, als Tonys Frau Carmela verärgert durch das geschlossene Fenster nach draußen blickt. Hin zu ihrem Mann, der in den Pool und damit eine andere (sorgenfreiere) Welt hinabtaucht. Um sich dort um seine Adoptiventen zu kümmern, denen er sogar eine kleine Holztreppe zum Verlassen des Pools gebastelt hat. Tony draußen, Familie drinnen – das Bild könnte nicht bezeichnender sein.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Ein schrecklich „nette“ Familie. Alltag im Hause Soprano (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Ein Klaps ohne Folgen
Drinnen herrscht Alltag. Während die Mutter ihrem Sohn zum Geburtstag gratuliert, das Frühstück richtet und mit ihrer Tochter diskutiert, ist Tony draußen bei seiner „neuen“ tierischen Familie. Und freut sich wie ein Kind, als die kleinen Entenjungen versuchen fliegen zu lernen. Diese emotionale Distanz wird nur noch weiter verstärkt, als Tony dann das Haus betritt. Zum einen kann er seine Familie dort nicht mit der Leidenschaft für die Enten anstecken und erntet dafür nur Spott. Zum anderen wird deutlich, wie weit sich seine Frau von ihm emotional entfernt hat.

Der kurzer Klaps von Tony auf deren Po wird von Carmel leidenschaftslos ignoriert. Umgekehrt ignoriert Tony dann auch Carmel, da er sich lieber ein Vogelbuch zum Lesen schnappt, als seiner eigenen Frau zuzuhören. Die kommt mit einer Frage zur Abendplanung, was Tony aber, versunken in seinem Wälzer, gar nicht registriert. Wofür er darauf eine schnippische Bemerkung seiner Frau kassiert, die andeutet, dass Tony wohl aktuell eine Affäre am Laufen hat. Hier ist definitiv also einiges im Argen. Probleme, denen sich unsere Hauptfigur aber offensichtlich bisher nicht stellen wollte und stattdessen lieber sich in eine „andere Welt“ flüchtet. Ob Affären und eine Entenfamilie aber die Lösung für eine Midlife-Crisis bedeuten können, ist dann doch eher fraglich.

Tony Soprano in "Die Sopranos"
Sorry Schatz, will lieber lesen. Tony und Carmel im Gefriermodus (Foto: ©Warner Home Video – DVD).

Weigerung schafft emotionales Gewicht
So bekommen wir also auf vielschichtige Art und Weise ein gutes Bild davon präsentiert, was unsere Hauptfigur bewegt. Und was nachher auch die Essenz dieser Serie ausmachen wird. Interessant ist dabei aber vor allem der Aufbau, wie uns diese so intimen Einblicke ermöglicht werden. Auch als Tony über die Enten und seine „echte“ Familie spricht, und wir die entsprechenden Bilder dazu sehen, kommen wir dann doch zwischendrin immer wieder kurz zurück in die Praxis unserer Psychotherapeutin. Wo Tony immer wieder eigentlich blocken möchte, Dr. Melfi aber weiter hartnäckig bleibt. Und Tony dann die Geschichte wieder aufnimmt.

Genau das ist eben entscheidend. Das mir Informationen zu einer Figur nicht einfach lieblos hingeworfen werden. Sondern, dass ich mir diese erarbeite. Und dieser mir damit sozusagen verdiene. Gerade dadurch, dass Tony so widerwillig mit den Informationen über seinen Gemütszustand rausrückt, bekommen die Aussagen auch wirklich emotionales Gewicht. So liefert uns Showrunner David Chase also eine Einführung, bei der wir auf clevere Art und Weise viel mehr als einfach nur ein paar Hintergrundinformationen zu Tony vermittelt bekommen. Sondern die stattdessen wirklich dessen Seelenzustand beleuchtet. Es soll also keiner glauben, dass man mit einer Einführung nur an der Oberfläche einer Figur graben kann.

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