Abgeschweift

Wahrheit und Pflicht – Charaktere im Dokumentarfilm

Fake-News sind ein Problem für die Welt. Fake-Storyelemente für die Glaubwürdigkeit des Dokumentarfilms.

Land des Honigs
Filmemacher sind Geschichtenerzähler. Was beim Dokumentarfilm natürlich auch immer eine moralische Frage aufwirft: Wieviel Fiktion darf ich denn einer wahren Geschichte mit echten Protagonisten injizieren? Schließlich hält sich die Realität ja nicht immer an die perfekte Filmdramaturgie. Über die Frage bin ich, mal wieder, vor kurzem beim Anschauen von „Land des Honigs“ gestolpert, dem diesjährigen Sundance Gewinner in der Kategorie „Bester Dokumentarfilm“.

Die beiden Filmemacher Tamara Kotevska und Ljubomir Stefanov begleiteten dafür über mehrere Jahre eine mazedonische Imkerin, die in einer abgelegenen Gegend Honig von Wildbienen sammelt. Immer unter dem Motto: „Eine Hälfte für mich, die andere Hälfte für die Bienen“. Dieser Einklang mit der Natur wird dann aber durch das Eintreffen einer Großfamilie zerstört, die das wirtschaftliche Potential der Bienen erkennt und kapitalistischen Raubbau bevorzugt. So entsteht am Ende ein charmanter kleiner Film, der den Zuschauer in einer fremde Welt entführt, über eine charismatische Hauptdarstellerin verfügt und eine simple aber gute Geschichte erzählt.

Manipulation auf Kosten der Glaubwürdigkeit
„Land des Honigs“ ist aber auch ein Dokumentarfilm, bei dem ich mich zwischendrin ab und zu dabei ertappte habe, mir die Frage zu stellen: War das jetzt gerade wirklich zu 100 Prozent echt? Beispielhaft sei hier ein Moment genannt, in dem unsere Protagonistin einen schmerzhaften persönlichen Verlust erleidet. Der im Film dann so gekonnt angekündigt und emotional transportiert wird, dass ich mir sicher bin, dass hier zumindest im Schnitt ein klein wenig getrickst wurde. Auch wenn es sich vermutlich nur um eine Manipulation an der Zeitlinie der Ereignisse handelt.

Aber Manipulation ist Manipulation und irgendwie hat dieser Moment für mich dem Film ein klein wenig an Glaubwürdigkeit geraubt. Auch wenn ich im Gegenzug dafür natürlich eine deutlich stärkere Emotionalität serviert bekommen habe. Am Ende ist es natürlich immer eine Gratwanderung, die ich hier als Dokumentarfilmer gehen muss: die Entscheidung, wieviel Manipulation zugunsten der Spannungskurve bei eine wahren Geschichte denn noch angemessen ist. Was bei „Land des Honigs“ wirklich auch nur bis auf wenige Ausnahmen eigentlich sehr gut gelöst wird.

Der Pavian hat keine Nüsse
In dem Kontext muss ich dann aber automatisch an eine Dokumentarfilmgattung denken, wo mir das manipulative Erzählen doch zu oft gehörig auf die Nerven geht: die gute alte Tierdoku. Wie hier der Natur manchmal auf Teufel komm raus ein Drehbuch aufgezwungen wird, mit vermenschlichten Rollen, wie dem Bösewicht oder gar dem Liebhaber, überschreitet eindeutig eine rote Linie. Ohne eine „vermenschlichte“ Story im Gepäck gehen heute leider zu viele Tierfilmer ja gar nicht mehr aus dem Haus. Und dann wird es mit der Echtheit und dem Protagonisten natürlich schon schwierig. Was dafür sorgt, dass in dem Genre übrigens auch gerne mal „alte Bilder“ dazugekauft werden und noch so manch andere Tricks angewendet werden, wenn es die Geschichte denn verlangt.

Egal, Hauptsache gutes Entertainment. Könnte man sagen. Und natürlich mag das Faken hier dann ja auch irgendwie verständlich sein. Weil wenn sich mir nach zwei Wochen, schwitzend am Moskito verseuchten Ubangi-Fluss, noch immer kein kongolesischer Pavian gezeigt hätte, obwohl der laut Drehbuch jetzt doch durch gezieltes Werfen von Nüssen Alligatoren vertreiben sollte, dann würde ich mir wohl auch überlegen, wie man das jetzt noch anders „hinbiegen“ könnte. Aber wäre doch eigentlich viel besser, wenn man die „tolle Story“ dann doch lieber opfert, anstatt zu stark die Realität zu manipulieren.

Das Beste aus zwei Welten
Auf so einer nachdenklichen Note möchte ich aber hier nicht enden und werfe deswegen noch einmal ein positives Beispiel in den Ring. Nämlich einen meiner Lieblingsfilme, der das Beste aus beiden Welten vereint. „Sturz ins Leere“ handelt von der dramatischen Geschichte der beiden Bergsteiger Joe Simpson und Simon Yates, deren Besteigung des Siuala Grande einen dramatischen Verlauf nimmt. Das Tolle an dem Film ist, dass hier Dokumentation und Fiktion perfekt miteinander kombiniert werden.

Auf der einen Seite gibt es Originalvideos mit den Protagonisten, die in ihren Statements die dramatischen Ereignisse beschreiben. Und dann wiederum von Schauspielern nachgespielte Szenen, die das Adrenalin in die Höhe treiben. So werden Fiktion und Dokumentation auf meisterhafte Art und Weise gleichzeitig voneinander getrennt als auch miteinander vereint. Wobei dem Zuschauer immer klar ist, wann Fiktion angesagt ist und wann wir wirklich unsere echten Protagonisten erleben. Und genau das ist das Entscheidende, wenn man im Dokumentarfilm unterwegs ist. Ich als Zuschauer möchte wissen was echt ist. Und wann ich manipuliert werde. Wenn das gegeben ist, dann kann ich auch sogenanntes Dokutainment genießen. Also, da vorne liegen die Nüsse, du blöder Pavian…

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