Abgeschweift

Subjektive Charaktereinführung

Niemand ist allwissend. Der Autor dieser Zeilen schon gar nicht. Zeit einmal zu beleuchten, was dieser Blog überhaupt leisten kann. Und was nicht.

Was erlaube Kritiker
Das ist ja schon eine Krux mit diesen Kritikern. Halten sich für besonders schlau und ihre Aussagen manchmal scheinbar für allgemeingültig. Die einen Filme preisen sie als Meisterwerke, die anderen versenken sie genüßlich im Abgrund der Kinohölle. Dabei ist das doch alles Interpretationssache – oder doch nicht?

Auch hier im Blog preise ich manche Einführungen als „meisterhaft“ oder interpretiere locker flockig das Geschehen auf dem Bildschirm. Und ziehe dabei selbstsicher meine Schlüsse im Hinblick auf die Absichten der Filmemacher. Um es mit den Worten eines legendären Fussballtrainers auszudrücken: „Was erlaube Kritiker“. Stellen wir also gleich einmal klar: Ja, ich bin mir sehr wohl bewusst bei meinen Analysen nicht immer auf dem dicksten Eis zu laufen. So ein Blog ist aber eben nun mal extrem subjektiv, auch wenn ich versuche so dicht wie möglich an die „Wahrheit“ heranzukommen.

Jetzt wird dieser Beitrag aber nicht eine philosophische Abhandlung über die Nicht-Existenz einer allgemeingültigen Wahrheit. Oder eine Diskussion unterschiedlicher Wahrnehmungsmodelle. Das übersteigt dann doch den Horizont dieses schreibwütigen Filmliebhabers. Stattdessen möchte ich aber zumindest aufzeigen, dass mir sehr wohl bewusst ist, dass es nicht eine allgemeingültige Interpretation einer Charaktereinführung gibt.

Für diesen Zweck möchte ich hier beispielhaft drei Aspekte kurz anreißen, die bei meinen Analysen meist unter den Tisch gekehrt werden. Obwohl sie dafür sorgen können, dass man eine Charaktereinführung eben auch ganz anders wahrnehmen und auslegen kann.

Aspekt 1: Trailer, Spoiler und Co.
Mit der Charaktereinführung etablieren wir ja unsere Hauptfigur(en). Auf dem Papier sollten wir alle mit dem gleichen Vorwissen zu dieser Figur in den Film gehen. Nämlich exakt Null (den Fall einer Fortsetzung lassen wir hier mal außen vor). Doch Trailer, Filmkritiken, der nervige alles spoilende Arbeitskollege oder schon ein simpler Blick auf das Filmposter können diese Startbedingung entscheidend verändern. Wer als Zuschauer dank des Trailers bereits weiß, dass die Hauptfigur während des Filmes mit zwei Macheten die Bösewichte zerstückeln wird, der interpretiert eventuell die ersten Momente mit der Figur anders als jemand, der völlig jungfräulich in den Film marschiert ist.

Alleine schon das Vorwissen, um welches Genre es sich handelt, kann beim Publikum dafür sorgen, dass es automatisch die Einführung der Hauptfigur anders wahrnimmt. Zum Beispiel, in dem es aufgrund der eigenen Genreerfahrung gewisse Rückschlüsse auf die Figur und deren Charakter zieht (was Filmemacher natürlich auch wundervoll für sich nutzen können). Oder man nehme das Beispiel eines Twists, welcher die Figur am Ende in einem ganz anderen Licht erscheinen lässt. Wer dieses Wissen bereits besitzt, mag ebenfalls die Einführung anders wahrnehmen und im Gegensatz zu anderen bereits mit Argusaugen die Handlungen der Hauptfigur zu Beginn begutachten.

Kurz zusammengefasst: Die Interpretation einer Charaktereinführung kann sich beim ersten Ansehen je nach Vorwissen des Betrachters bezüglich des Inhaltes des Films unterscheiden. Ein Faktor, der allerdings für meine Analysen nur bedingt relevant ist. Denn um auch ja keine Anspielung und kein Setup bei der Charaktereinführung zu verpassen, ist für mich ja von entscheidender Bedeutung die Analyse erst nach dem „Genuss“ des ganzen Filmes zu schreiben. Und das ist dann auch die Position meiner Analyse – von einem, der eben den ganzen Film kennt (von Serien sprechen wir mal lieber nicht, da wartet in Punkto Einführung ja auch nicht immer ein kompletter Masterplan schon im Hintergrund). Trotzdem ist es natürlich wichtig, sich an dieser Stelle einmal kurz dieses hier angesprochenen Unterschieds bewusst zu werden.

Aspekt 2: Die Besetzung
Ein weiterer spannender Aspekt ist die Rolle der Schauspieler. Oft fokussiere ich mich in meinen Analysen ja stärker auf das Drehbuch oder die Regie. Meistens geht hierbei der Darsteller etwas unter, dabei kommt dessen Leistung natürlich eine ganz entscheidende Rolle zu. Vor allem wenn es darum geht, ob wir uns mit der Hauptfigur identifizieren und sympathisieren.

Interessant ist aber nicht einfach nur das schauspielerische Können welches uns geboten wird. Sondern bereits schon die implizite Beziehung, die wir zu dem Darsteller oder der Darstellerin haben. Gerade die bekannten Hollywoodstars kommen für jeden Zuschauer mit einem Haufen emotionalem Gepäck im Schlepptau. Es macht einen gehörigen Unterschied ob wir einen Bill Murray oder einen Arnold Schwarzenegger präsentiert bekommen. Hier geht es nicht alleine darum, wie die Person optisch auf uns wirkt. Sondern auch welche Erfahrungen wir eben mit dieser an anderer Stelle bisher gemacht haben.

Gerade mit den großen Stars verbinden wir oft schon Charaktereigenschaften, die wir direkt in deren neuesten Film mit übertragen. Wer einen Tom Hanks besetzt wird beim Publikum nicht viel Zeit darauf verschwenden müssen, um die gewünschte Sympathie herzustellen. Es gibt schon einen Grund, warum auch früher Stars wie Cary Grant oder Jimmy Stewart so beliebt bei Filmproduzenten waren. Man konnte sich der Sympathie des Publikums von Anfang an sicher sein. Umgekehrt, sind manche Darsteller uns als typische Bösewichte vertraut und erfordern ebenfalls nur, dass man uns zu Beginn einfach kurz in unserer Einschätzung bestätigt.

Nun kann man natürlich argumentieren, dass oft erst das Drehbuch geschrieben wird und dann der Schauspieler an Bord kommt. Und das Charisma dieses spezifischen Darstellers beim Schreiben noch gar keine Rolle spielte und so die Einführung unabhängig von ihm designt ist. Trotzdem ist es aber so, dass unsere Erfahrungen mit einem Darsteller einen gehörigen Einfluss auf unsere Interpretation der Einführungsszene nehmen. Gerade wenn es darum geht, ob diese jetzt in Sachen „Sympathie“ und „Identifikation“ funktioniert.

Das Schöne ist, dass Filmemacher auch diesen Aspekt wieder für sich nutzen können, in dem sie durch eine untypische Besetzung (zum Beispiel Tom Hanks in „Road to Perdition“) geschickt mit den Erwartungen des Publikums spielen und dieses so überraschen können. Die Macht der Erwartungen gegenüber einem Schauspieler und deren Auswirkungen auf dessen Charaktereinführung geht aber meist in meinen Analysen unter. Manchmal ist es schon durchaus fraglich, ob ich zu den gleichen Schlüssen gekommen wäre, wenn zum Beispiel ein mir weniger sympathischer Darsteller die Rolle ausgefüllt hätte.

Aspekt 3: Es menschelt
Womit wir dann beim dritten Aspekt sind, den ich im Angesicht seiner Dimension aber wirklich nur ganz kurz anreißen will. Nach dem Motto „Jeder Jeck is anders“ bringt natürlich auch jeder Zuschauer seinen eigenen Charakter mit an den Tisch. Und damit auch ich. Das mag eine andere Meinung zu einem Darsteller sein oder gleich komplett andere moralische Werte als der Sitznachbar. Bei dem einen Zuschauer funktioniert ein Gag, bei dem anderen nicht. Der eine versteht eine Anspielung, dem anderen fällt diese gar nicht erst auf. Intellekt, Humor, Erfahrungen, Moral, usw. – all das unterscheidet sich weil wir eben alles Individuen. Banal aber richtig. Was es aber natürlich auch wieder so spannend macht, denn erst so gibt es die Möglichkeit zu tollen Diskussionen und Interpretationen. Alles subjektiv eben.

Womit wir dann am Ende noch ein letztes Mal das Offensichtliche aussprechen: Interpretation ist eben Interpretation. Und gerade wenn ich wertend schreibe und mich mit den Wirkungen der Szene auf das Publikum befasse, dann ist das alles noch einen Schwung subjektiver. Was aber auch nicht bedeutet, dass ich hier nun mit meiner Analyse komplett im subjektiven Trüben fische. Gewisse Mechanismen und Stilmittel wiederholen sich in den Einführungen, manche Wirkungen auf das Publikum sind gut erforscht und gewisse gemeinsame Nenner haben wir Menschen ja doch. Ist also nicht alles sinnlos, was ich hier treibe. Und so werde ich hoffentlich noch einige Zeit damit Spaß haben, mit meinen Argumenten die Lesern dieses Blogs auf meine subjektive Seite zu ziehen;-)

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