Serie

Jack Shephard – Lost

Nach einem Flugzeugabsturz ist ein Chirurg ja genau das, was man als Überlebender braucht. Würde sich trotz Traumstrand aber am liebsten bei der Gewerkschaft über seine lausigen Arbeitsbedingungen beschweren: Dr. Jack Shephard.

Lost (2004-2010) – Die Story

Drehbuch Episode 1: Jeffrey Lieber, J.J. Abrams, Damon Lindelof
Die Überlebenden eines Flugzeugabsturzes finden sich gestrandet auf einer scheinbar verlassenen Insel im Pazifik wieder. Der Arzt Dr. Jack Shephard (Matthew Fox) schlüpft als einer der ersten in eine Führungsrolle, doch es wird mehr als nur Mut und Männlichkeit brauchen, um mit dieser Gruppe erfolgreich die bevorstehenden Herausforderungen zu meistern. Denn nicht nur die Insel sondern auch einige der Überlebenden bergen so das ein oder andere düstere Geheimnis…

Die Einführung von Dr. Jack Shephard

Jack Shephard wacht mit blutigem Hemd im Dschungel auf. Nach kurzer Phase der Desorientierung rennt unser verletzter Protagonist zum Strand, wo sich ihm ein Horrorszenario bietet. Ein brennendes Flugzeugwrack, am Boden liegende Leichen und schreiende Menschen, die panisch umherirren. Jack stolpert fassungslos durch das Trümmerfeld und weist schließlich andere Überlebende an, mit ihm zusammen einen unter einem Wrackteil eingeklemmten Mann zu befreien. Als nächstes spricht Jack dann der schwangeren Claire Mut zu, verweist diese aber direkt an den unverletzten Hugo da er eine weitere Frau mit Mund-zu-Mund-Beatmung retten möchte.

Kaum ist das gelungen, muss unser tapferer Held aber wieder Claire und Hugo retten, die fast von einem herabstürzenden Wrackteil getötet werden. Alle drei überleben die darauf folgende Explosion aber und Jack gönnt sich eine kurze Verschnaufpause. Er besorgt sich anschließend aus einer Tasche Nadel und Faden und möchte sich abseits des Wracks nun selbst verarzten. Dafür ist er allerdings auf die Hilfe der zufällig vorbeikommenden Kate angewiesen, die nach etwas Zögern zustimmt ihre rudimentären Nähkenntnisse an Jacks Rücken auszuprobieren.

Jack Shephard in "Lost" -Zitat

Die Analyse:

Eine Hauptfigur ist ja für den Zuschauer immer der wichtigste Anker innerhalb einer Geschichte. Mit dieser Figur fiebern wir mit, wir sehen die Welt durch ihre Augen und durchleben mit ihr die Geschichte. Dieses Band zwischen Zuschauer und Figur zu etablieren ist eine der entscheidenden Aufgaben der Figureneinführung. Wie extrem eng man so ein Band knüpfen kann und was dadurch noch alles erreicht werden kann, zeigt uns das Beispiel von „Lost“. Hier wird der Zuschauer zu Beginn ganz eng an die Figur des „Jack Shephard“ gebunden. Und von diesem durch eine ziemlich aufwühlende Eröffnungssequenz geführt.

Los geht es mit einem sehr symbolträchtigen Shot. Wir sehen das Auge von Jack in Großaufnahme. Was ganz gut passt, denn in den nächsten Minuten werden wir als Zuschauer das Geschehen genau durch diese Augen erleben. Dabei dauert es nicht lange, bis wir uns mit dieser Figur verbunden fühlen. Jack wacht orientierungslos im Dschungel liegend auf und ist angesichts seines Zustands und der Umgebung verwirrt. Uns als Zuschauer geht es genauso, weil die Serie uns nicht mehr verraten hat als der Figur. Dadurch, dass wir nahezu auf dem gleichen Wissenstand sind stellen wir uns ähnliche Fragen wie unser Protagonist. Woher die Verletzung, was ist hier passiert und wo sind wir hier überhaupt? Gemeinsame Fragen ergeben ein gemeinsames Interesse an Antworten und damit automatisch eine erste Identifikation des Publikums mit dem Hauptcharakter.

Jack Shephard in "Lost"
Schlechter Traum? Jack wacht im Dschungel auf (Foto: ©Walt Disney).

Probiere es mal ohne Gemütlichkeit
So begleiten wir nun Jack bei seinem orientierungslosen Sprint durch den Dschungel, bis wir mit ihm zusammen dann am Strand das Unvorstellbare entdecken: das riesige Trümmerfeld des Flugzeugabsturzes. Flugzeugabsturz und Insel – die ersten Antworten auf unsere Fragen wären also damit gegeben. Doch die Rolle Jacks als enger Begleiter des Zuschauers geht jetzt erst richtig los.

Es ist spannend zu beobachten, wie die Inszenierung in der nun folgenden mehrminütigen Sequenz Jack als den zentralen Anker des Publikums weiter manifestiert. In eigentlich fast jeder Aufnahme ist Jack entweder zu sehen oder wir sehen das Geschehen direkt aus seiner Perspektive. Näher kann man als Zuschauer nicht an eine Figur kommen. Jack ist der Faden, an dem sich der Zuschauer durch das chaotische Schlachtfeld entlanghangelt. Gerade weil „Lost“ mit einer für das Publikum derart hektischen Eröffnungssequenz beginnt, braucht es zumindest eine Konstante, damit der Zuschauer nicht komplett die Orientierung verliert. Und diese Konstante ist Jack.

Jack Shephard in "Lost"
Kein Tag wie jeder andere. Jack „führt“ uns über das Trümmerfeld (Foto: ©Walt Disney).

Ein Mann wie er im Buche steht
Gleichzeitig bekommen wir aber natürlich auch eine ordentliche Dosis Charakterzeichnung serviert. „Lost“ entscheidet sich bei Jack dabei für das Modell „führungsstarker Held“. Welches gleich auf verschiedenen Wegen etabliert wird. So gibt Jack in den nächsten Minuten das nahezu perfekte Alpha-Männchen. Er gibt klare Anweisungen was wer zu tun hat. Zwei weitere Überlebende fordert er auf ihm dabei zu helfen einen eingeschlossenen Mann zu befreien, Hugo wird als Aufpasser für Claire rekrutiert und Kate wird gebeten ihm doch die Wunden zu flicken.

Wie es sich für ein erfolgreiches Alpha-Männchen gehört, widerspricht auch kein einziger den Befehlen und so ist der Status von Jack als stets die Ruhe bewahrende Führungsperson schnell etabliert. Eben gerade durch den Kontrast zu dem chaotischen Umfeld und die „schwächelnden“ Nebenfiguren, die auf Jacks Hilfe vertrauen. Dazu zeigt sich Jack als clever und umsichtig. Während er die schwangere Claire beruhigt erkennt er im Augenwinkel, dass eine andere Dame falsch beatmet wird. Genauso, wie er danach Hugo und Claire aufmerksam vor einem herabstürzenden Wrackteil rettet. Genau der Mann, den man in all diesem Chaos an seiner Seite haben möchte. Und tough ist unser Herr natürlich auch noch, denn er sucht sich Nadel und Faden um mal eben seine eigenen Wunden zu versorgen.

Jack Shephard in "Lost"
Da hat jemand im Erste-Hilfe-Kurs aufgepasst. Jack rettet Leben (Foto: ©Walt Disney).

Der Held menschelt
Die komplette Eröffnungssequenz wirkt so fast wie die etwas klischeehafte Huldigung purer Männlichkeit. Doch ganz so oberflächlich ist Jack dann auch wieder nicht geraten. So versuchen die Macher schon etwas dagegen zu steuern und Jack nicht als zu perfekten Helden dastehen zu lassen. Man möchte uns ja auch ein gewisses realistisches Identifikationspotential bieten. Natürlich ist die Identifikation mit der Figur teilweise dadurch gegeben, dass Jack den Schwächeren hilft und so automatisch Pluspunkte sammelt. Da man eine Figur aber bei zu viel Heldentum irgendwann nicht mehr ernst nehmen würde, was für die Identifikation tödlich wäre, hat man sich für Jack noch ein paar sympathische Zusatzeigenschaften einfallen lassen.

So wird deutlich gemacht, dass Jack gegen die traumatischen Auswirkungen dieses Absturzes auch nicht komplett immun ist. Auch er wirkt stellenweise desorientiert und braucht, nach dem er den Helden gespielt hat, eine kurze Verschnaufpause. Der Moment, in dem Jack wankend zum Wrack geht um dort erst einmal durchzuatmen, ist ein ziemlich wichtiger Baustein für Jacks Charakterzeichnung. Sehr her, Jack ist auch nur ein Mensch. In der Szene zeigt Jack dann auch noch mehr sympathische Menschlichkeit, in dem er sich bei einem der Überlebenden dafür bedankt, dass dieser ihm untaugliches Werkzeug für eine mögliche Not-OP zusammengesucht hat. Jack macht sich über dessen nutzlosen Einsatz nicht etwa witzig sondern bleibt freundlich und würdigt den Mann stattdessen. Und wieder schnellt die Sympathieskala etwas in die Höhe.

Jack Shephard in "Lost"
Auch nur ein Mensch. Jack schnauft nach soviel Heldentaten einmal durch (Foto: ©Walt Disney).

Ein Fels für den Zuschauer
Ähnlich gelagert ist dann auch das Treffen mit Kate, in dem Jack nicht den harten Mann markiert sondern auch eine gewisse Verletzlichkeit zeigt. Eine Szene, welche die Figur noch weiter erdet und den harten Mann noch etwas weicher erscheinen läßt. So versucht „Lost“ geschickt die Figur nicht komplett in die unnahbarer Überheldenrolle abdriften zu lassen. Während dieser Gratwanderung erfahren wir übrigens nur wenige harte Fakten über unsere Figur. Vorname und Beruf, das muss reichen.

Aber mehr braucht es auch nicht, denn der entscheidende Faktor ist eben, dass der Zuschauer einen emotionalen Halt braucht auf dem Weg durch diesen fordernd-chaotischen Serienbeginn. Und für solch eine Mission ist eine Figur, die wie ein Fels in der Brandung agiert, nun mal ziemlich nützlich. Jemand, der all das zusammenhält und dem Publikum Halt gibt. So mag die Figur des Jack Shephard zwar ziemlich nah an dem eines testosteronlastigen Heldenimages liegen, aber für einen solchen Serienbeginn ist dies durchaus eine weise Entscheidung. So ein Tag am Strand ist eben nicht immer entspannend…

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