Film

Mahatma Gandhi – Gandhi

Das Ritual der Tea Time kann zusammenschweißen. Funktioniert aber natürlich nicht, wenn der Gegenüber fastet. Freut sich dem Imperialismus gewaltfrei ein Ende zu setzen: Mahatma Gandhi.

Gandhi (1982) – Die Story

Drehbuch: John Briley
Nach dem der junge indische Rechtsanwalt Mahatma Gandhi in Südafrika Apartheid am eigenen Leib erfahren hat, entschließt er sich durch gewaltlosen Widerstand diese Missstände anzuprangern. Nach ersten politischen Erfolgen nimmt Gandhi aber ein noch größeres Ziel in seinen Fokus: die Unabhängigkeit Indiens. Gar nicht amused darüber: die Briten.

 

Die Einführung von Mahatma Gandhi

Es beginnt mit dem Ende. Ein Fanatiker erschießt 1948 den völlig perplexen Mahatma Gandhi (Ben Kingsley) bei einer religiösen Veranstaltung. Bei den darauffolgenden Aufnahmen von Gandhis prächtigem und gut besuchten Trauerzug preisen ausländische Kommentatoren die Bedeutsamkeit und Bescheidenheit des legendären Anführers der indischen Unabhängigkeitsbewegung. Wie all das seinen Anfang nahm?

Dafür springen wir nun ins Jahr 1893 und nach Südafrika. Der junge Gandhi, ein genauso gebildeter wie erfolgreicher Rechtsanwalt, sitzt im Erste-Klasse-Abteil eines Zuges. Dieser Luxus bleibt ihm allerdings nicht lange vergönnt, da ein Mitreisender sich über diesen “farbigen Reisenden“ beschwert. Zusammen mit dem Schaffner stellt dieser Gandhi zur Rede und leugnet, dass es so etwas wie farbige Rechtsanwälte in Südafrika überhaupt gibt. Gandhi pocht aber eloquent auf seiner Berufsbezeichnung. Das reizt die Gegenseite aber nur noch mehr und Gandhi fliegt in hohem Bogen aus dem Zug.

Mahatma Gandhi in „Gandhi“ - Zitat

Die Analyse

„No man’s life can be encompassed in one telling. There is no way to give each year its allotted weight, to include each event, each person who helped to shape a lifetime. What can be done is to be faithful in spirit to the record and try to find one’s way to the heart of the man“.

Mit der Einblendung dieser Worte startet Richard Attenboroughs Verfilmung des Lebens von Mahatma Gandhi. Worte, die uns daran erinnern, dass Charakterzeichnung im Film immer selektiv ist. Was natürlich vor allem bei Biographien ins Gewicht fällt. Diese erzwungene Selektion macht es aber ja gerade so interessant zu beobachten, für welche Charakterfacetten sich Filmemacher bei Figureneinführungen entscheiden. Und „Gandhi“ bietet uns in dieser Hinsicht gleich eine genauso schöne wie symbolische erste Szene.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Meditation zu Filmbeginn. Und ein paar weise Worte (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

Ein Bild von einem Charakter
Was wir zu Beginn, neben der besagten Einblendung, nämlich zu sehen bekommen ist eine ruhige Einstellung, die einen Fluss in Indien zeigt. Ein paar Fischerboote ankern an dem friedvollen Gewässer und ein paar Fischer gehen entspannt ihrer Arbeit nach. Der Mensch im Einklang mit der Natur, der Mensch im Einklang mit sich selbst. „Gandhi“ entscheidet sich das friedvolle Wesen seiner Hauptfigur mit einer so simplen Sache wie einer Landschaftsaufnahme einzufangen. In Kombination mit der Texteinblendung wird so schnell klar, was der Film als Essenz seiner Hauptfigur ausgemacht hat.

Charaktereigenschaften kann mal also auch durch so etwas „einfaches“ wie eine Naturaufnahme darstellen – ein weiterer Pinsel im reichhaltigen Werkzeugkasten des Filmemachers. Kurz darauf wird aber schon der nächste Pinsel gezückt und wir springen, was man sehr gerne bei einem Biopic macht, an das Ende der Geschichte. In diesem Fall zeigt man uns dabei nun sowohl den Mord an Gandhi als auch das anschließende Begräbnis.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Der Mord an Gandhi (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

Die Reise des Helden
Der Grund für dieses Vorgehen ist bei vielen dieser sogenannten Biopics ähnlich. Ziel ist es einmal hier ein Spannungsgerüst für den Film zu etablieren. Gerade weil bei berühmten realen Figuren der Ausgang der Geschichte für den Großteil des Publikums ja bereits bekannt ist, muss man hier den Fokus auf etwas anderes legen als die Frage, wie denn die Geschichte ausgeht. Stattdessen rückt die Reise des Helden viel stärker in den Vordergrund.

Aus diesem Grund sehen wir unseren Helden hier zu Beginn am Ende seiner “Karriere“ und blicken dann im Rest des Filmes auf sein Schaffen zurück. Wie hat es überhaupt soweit kommen können? Um diese Frage noch spannender zu gestalten präsentiert man uns hier zu Beginn den Mord an Gandhi. Wie konnte es sein, dass dieser harmlose alte Mann so skrupellos ermordet wurde? Diese Frage rückt nun in den Vordergrund und selbst Zuschauer, die nicht mit der realen Figur vertraut sind, werden durch diese Einführung nun ebenfalls auf den gleichen Stand und damit die gleiche Spur gebracht. Charaktereinführung muss eben auch immer im Kontext mit dem dramaturgischen Aufbau eines Filmes gesehen werden.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Das war teuer. Der epische Trauerzug zum Tod Gandhis (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

So viele Inder können nicht irren
Der Mord an Gandhi wird aber natürlich auch ein wenig zur Charaktereinführung genutzt. Einmal natürlich dadurch, dass wir Gandhi das erste Mal treffen. Und einem alten und sehr friedfertig wirkenden Mann begegnen, der offensichtlich eine führende religiöse Rolle einnimmt. Gleichzeitig wird Gandhi aber hier natürlich auch schon clever überhöht und so das Interesse des Publikums an dieser Figur geweckt. Was sich nicht nur daraus erschließt, dass so viele Menschen Gandhi bei dessen Auftritt sehen möchten, sondern auch dadurch, dass auch der Mörder spürbar nervös ist angesichts der Tatsache, wem er hier entgegentritt.

Als nächstes folgt dann der epische Trauerzug bei Gandhis Beerdigung. Wie so oft bei Einführungen, verfährt man auch hier nach dem Motto: doppelt und stärker hält besser. So wird die Überhöhung der Figur noch weiter auf die Spitze getrieben. Riesige Menschenmassen trauern um Gandhi und ein Radioreporter lobt den Menschenrechtsaktivisten überschwänglich für sein Lebenswerk. Wie wichtig die Verstärkung dieser Charakterüberhöhung für den Film ist, läßt sich auch schon daraus schließen, dass Regisseur Richard Attenborough auf dieser Szene bestand. Trotz unglaublich riesiger Kosten. Denn hier wird noch einmal eine der entscheidendsten Leistungen der Figur auf der Leinwand eindrücklich optisch untermauert – ihre Fähigkeit viele Menschen für sich und ihre Ziele zu begeistern. Angesichts dieser epischen Bilder wird klar, welche große Rolle dieser Mann für viele Menschen gespielt hat.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Wie beim Pferderennen nur ohne Spaß. Die Radiomoderatoren begleiten den Trauerzug (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

Einstein empfiehlt
Es sind aber natürlich auch die epischen Worte des Radiomoderators, die uns das ganze Wirken und die wichtigsten Charaktereigenschaften von Gandhi noch einmal vor Augen halten. Wie schon in anderen Beispielen hier im Blog, vermittelt uns eine andere Person vor dem eigentlichen Hauptauftritt des Protagonisten (in diesem Fall haben wir ja Gandhi nur kurz und nur als alten Mann gesehen) ein erstes Bild von diesem. Und trägt mit seinen Bemerkungen zur Mystifizierung und Überhöhung der Figur bei.

Gandhi wird dabei als Mann beschrieben, der ohne Titel, ohne Geld und ohne Armeen sein Land zu Frieden geführt hat. Den Bescheidenheit und Wahrheit zur Macht verholfen haben. Stück für Stück werden so weitere Facetten zur bereits etablierten Grundaussage, dass Gandhi ein friedfertiger und weiser Mann war, hinzugefügt. Und wieder werden auch diese Aussagen noch einmal weiter verstärkt, diesmal durch Aussagen berühmter Persönlichkeiten, welche der Radiomoderator zitiert. So wird Albert Einstein herangezogen und dessen Aussage, dass zukünftige Generationen kaum glauben werden, dass so ein Mensch je existiert hat. Es ist der ultimative Höhepunkt in dieser Vorabeinführung von Gandhi, bevor der Film um Jahrzehnte in der Zeit zurückreist, um die eigentliche Geschichte zu starten.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Noch bleibt Zeit für eine kleine Lektüre. Gandhi genießt den Luxus der ersten Klasse (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

Das Problem der ersten Klasse
Was wir nun also als nächstes bekommen könnte man auch als die „richtige“ Einführung der Figur betiteln. Womit der Film theoretisch auch hätte loslegen können, dies aber aus den oben genannten Gründen nun erst verspätet macht. Die legendäre “Zug-Anekdote“ von Gandhi, die als der Auslöser für seinen Wandel vom Rechtsanwalt zum Anwalt aller Inder gesehen wird, ist hierfür natürlich die ideale Wahl. Eine Szene, die eigentlich relativ geradlinig daherkommt. Gandhi wird von südafrikanischen Offiziellen rassistisch beleidigt, wehrt sich erfolglos, fliegt aus dem Zug und hat so nun einen starken Antrieb für ein neues Lebensziel erhalten. Aber auch wenn die Etablierung von Gandhis Grundmotivation der stärkste Grund für die Szene ist, es gibt auch noch andere Sachen zu entdecken.

Die spannendste Rolle spielt dabei das emotionale Band zwischen Publikum und Hauptfigur. Man möchte meinen, dass wenn eine Figur aus rassistischen Gründen aus dem Zug geworfen wird, es doch eigentlich kein Grund geben sollte wieso die Sympathien des Publikums dieser nicht direkt zufliegen. Ganz so einfach ist es aber hier nicht. Denn immerhin reist Gandhi in der ersten Klasse und ist ein gut betuchter Anwalt. Zwei Faktoren, die beim eher Underdog-freundlichen Publikum nicht gleich für Begeisterungsstürme sorgen. Und dann spielt das Ganze ja noch in Südafrika, wo der Rassismus in der damaligen Zeit sicher deutlich schlimmere Auswüchse nahm, als die Tatsache, dass ein wohlsituierter Anwalt nicht erste Klasse fahren darf.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Immer diese aufmüpfigen Inder. Die weiße südafrikanische Oberschicht ist not amused (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

Anwalt mit Herz
Angesichts dieser Konstellation und der eventuellen Gefahr, dass das Publikum die Figur zwar durchaus versteht aber die Situation nur als bedingt dramatisch bewertet, läßt sich der Film einen Trick einfallen. In Form eines schwarzen Bediensteten, der sich ebenfalls noch im Abteil befindet. Was wie eine unnötige Figur wirkt, hat in Wirklichkeit großen Einfluss auf unsere Wahrnehmung von Gandhi. Das erste was wir von Gandhi im Zug mitbekommen ist nämlich, wie er seine Bibel kurz ablegt und den Bediensteten eine intelligente Frage zum Thema Religion stellt.

Ein ganz wichtiger Charaktermoment, der uns etwas Entscheidendes signalisiert. Gandhi ist kein Rassist! Und er sieht sich aufgrund seines Status auch nicht als besseren Menschen sondern redet auf Augenhöhe mit dem schwarzen Bediensteten. Er stellt ihm sogar eine religiöse und damit sehr persönliche Frage hat also hier keinerlei Berührungsängste (wie das beim echten Gandhi war ist heute allerdings umstritten). Bevor Gandhi also rassistisch angegangen wird, stellt der Film erst einmal sicher, dass wir ihn nicht ebenfalls für einen Rassisten oder zumindest einen arroganten Anwalt halten könnten. So wird auch noch einmal deutlich, dass man als Drehbuchautor selbst bei offensichtlich scheinenden Szenarien wirklich hinterfragen sollte, ob die Figur sich der Sympathie des Publikums sicher sein kann.

Mahatma Gandhi in Gandhi
Dann doch lieber Deutsche Bahn. Gandhi fliegt aus dem Zug (Foto: ©Sony Pictures Home Entertainment).

Ein Sturkopf will Gerechtigkeit
Ist das einmal etabliert wird das emotionale Band zwischen dem Publikum und Gandhi nun durch die klar bösen Gegenspieler, den Schaffner und den ketzerischen Passagier, weiter verstärkt. Dabei bekommt Gandhi nun noch weitere wichtige Charakterfacetten verliehen, da er als schlagfertig und unnachgiebig gezeichnet wird. Gerade letzteres wird entscheidend für den Rest des Filmes sein.

All dies macht die Szene so perfekt zur Einführung von Gandhi. Nicht nur bekommen wir seine Grundmotivation serviert, seine Sturheit und das Eintreten für Gerechtigkeit werden ebenfalls etabliert. Also genau die Eigenschaften, die für den weiteren Verlauf der Geschichte von entscheidender Bedeutung sein werden. Und all dies funktioniert aber nur so gut, weil man dabei penibel darauf geachtet hat auch selbst das kleinste Risiko zu vermeiden, damit die Figur ja nicht zu unsympathisch wirkt. Wenn Gandhi also dann alleine und verlassen am Bahnhof steht fühlen wir als Publikum mit ihm. Der Kampf für Gerechtigkeit kann nun beginnen…

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