Serie

Steve Murphy – Narcos

Wer in Florida auf Drogenjagd geht kann abends am Strand entspannen. In Kolumbien sollte man dagegen lieber direkt eine Lebensversicherung abschließen. Will niemand geringeren als Pablo Escobar hinter Gitter bringen: Steve Murphy.

Narcos (2015 – 2017) – Die Story

Drehbuch Episode 1: Chris Brancato, Carlo Bernard, Doug Miro
In den 1970ern steigt ein gewisser Pablo Escobar in Kolumbien zum König der Kokainproduktion auf. Die amerikanische Drogenbehörde sieht dies gar nicht gerne, denn schon bald überschwemmt die neue Droge das eigene Land. Der DEA-Agent Steve Murphy (Boyd Holbrook) bekommt die Aufgabe, zusammen mit seinem Partner Javier Peña, in Kolumbien die Lieferkette zu unterbrechen. Doch so ein lukratives Geschäft gibt Escobar natürlich nicht kampflos auf.

Die Einführung von Steve Murphy

Während die Kamera über die Skyline von Bogota fliegt erzählt uns Steve Murphy von den Schwierigkeiten der Verbrecherjagd im Jahr 1989 in Kolumbien. Die reichen Drogenbarone sind nur mühsam aufzuspüren, doch trotz begrenzter technologischer Hilfsmittel gelingt es einigen US-Agenten, die Reservierung des Auftragskillers Poison für einen Tisch in einer Bar aufzuschnappen. Kurz darauf klingelt das Telefon bei Steve Murphy, der den Abend eigentlich mit seiner Frau und der kleinen Tochter verbringen wollte.

Murphy lauscht den Informationen am Telefon und erklärt uns anschließend im Off, dass er ja liebend gerne den für das Kartell arbeitenden Poison selbst geschnappt hätte. Darf er aus rechtlichen Gründen aber nicht. Also ruft er seinen Kollegen Carrillo bei der örtlichen Polizei an, der zusammen mit Murphys Partner Javier Peña gerade in einer Bar einen Drink genießt. Und auch den Anruf von Murphy, denn er freut sich auf den nun folgenden Auftrag. Zusammen mit seiner Spezialeinheit sorgt Carrillo in der Bar für ein Blutbad und jede Menge Kollateralschaden. Verständlich, so Murphy aus dem Off, dass wir als Zuschauer natürlich nun ihm als Initiator des Ganzen die Schuld für dieses Massaker geben. Aber man soll ihn doch bitte nicht zu früh verurteilen…

Steve Murphy in "Narcos" - Zitat

Die Analyse:

Eine Charaktereinführung kann passiv und aktiv zugleich sein – das zeigt uns der erste Auftritt von Steve Murphy in Narcos. In der Eröffnungssequenz lauschen wir durchgängig den Worten unseres Protagonisten, zu sehen bekommen wir ihn aber nur sehr kurz. Und obwohl Murphy in Sachen Handlung hier nur eine kleines Rädchen in einer großen Operation spielt, entpuppt sich die Sequenz, dank dessen begleitendem Voice-Over, als eine durchaus aussagekräftige Charaktereinführung.

Auf den ersten Blick scheint uns dabei der Beginn von Narcos in erster Linie die wichtigsten Hintergrundinfos zum Setting und der Arbeit der Drogenfahndung vermitteln zu wollen. Mit lakonischem Unterton beschreibt Murphy dabei eine Operation, an dessen Ende die Ermordung eines berüchtigten Drogenhändlers und Auftragskillers steht. Inklusive einer kleinen Portion Kollateralschadens. Dabei beschreibt uns Murphy nicht nur die generelle Situation Ende der 1980er in Kolumbien, sonder kommentiert auch im Detail die einzelnen Schritte der Operation. Lange Zeit ist er dabei nur aus dem Off zu hören, doch das reicht bereits für den ersten groben Charakteranstrich.

Steve Murphy in "Narcos"
Selbst mit Ortstarif – dieser Anruf wird für Poison teuer (Foto: ©Polyband/WVG).

Ein Wort sagt mehr als 1000 Bilder
Die offensichtlichste Information, die gleich zu Beginn zur Figur transportiert wird, ist natürlich deren Beruf. Wir erfahren, dass Murphy auf die Jagd nach Drogenhändlern geht und sich hier relativ gut auskennt – schließlich erzählt er uns im Detail, wie all das abläuft und nutzt die korrekten Fachausdrücke (z.B. „assets on the ground“). Alleine die Wortwahl kann uns ja schon immer etwas über eine Figur verraten. Hier erfolgt dies auch noch durch ein paar härtere Kraftausdrücke. Unser guter Steve ist vermutlich kein Kind von Traurigkeit, denn er bezeichnet die Narcos als „filthy rich“ und versichert uns, dass die moderne US-Spionage genau weiß „who you are fucking“.

So wird alleine schon durch die Wortwahl geschickt ein erstes Bild dieser Figur gezeichnet, bevor diese überhaupt visuell zu sehen ist. Doch den Eindruck des harten US-Agenten möchte man beim Publikum, vor dessen ersten physischem Auftritt, lieber noch etwas abfedern. Sympathie und so. Also bekommen wir einen vielsagenden Dialog zwischen zwei Agenten im Überwachungsflugzeug der Regierung serviert, die darüber reden, ob nun Steve oder dessen Partner den Auftrag zur Ausschaltung des Bösewichts bekommen soll. Dabei wird Steves Partner aber als Arschloch bezeichnet und hinzugefügt, dass man es lieber diesem anderen Typen (Steve) überlassen sollte. Was ja impliziert, dass wir es hier nun also mit einem netteren Jungen zu tun bekommen.

Steve Murphy in "Narcos"
Arschlöcher haben einfach keine Lobby. Unser Jungs geben den Auftrag lieber an Steve (Foto: ©Polyband/WVG).

Ein Held mit Prinzipien
Wie schon öfters gesehen wird ein Charakterzug der Hauptfigur hier also bereits durch eine Nebenfigur schon einmal angedeutet. Und wie so oft reicht das alleine aber nicht aus und man will auch wirklich sicher gehen, dass die Botschaft beim Publikum ankommt. Und so schneidet die Serie nach dem Dialog im Flugzeug direkt auf Steve, der liebevoll sein Kind im Arm hält. Noch mal also für das Publikum zum Mitschreiben: Dieser Mann hat sein Herz am rechten Fleck!

Mit diesem Bild macht es sich die Serie in Sachen Charakterzeichnung natürlich sehr einfach, denn diese emotionale Manipulation des Publikums ist schon sehr offensichtlich. Aber natürlich auch effizient. Steve mag tough sein, aber das Bild des liebevollen Familienvaters beruhigt unsere moralischen Vorbehalte und läßt uns dessen eher vulgärer Sprache vergessen. Mit so einem Mann können wir uns identifizieren. Die Szene unterfüttert diesen positiven Eindruck aber auch noch ganz subtil weiter. Murphy erhält nun den Anruf für den Auftrag, erzählt uns dabei aber, dass er diesen zwar gerne persönlich durchführen würde, ihm aber aufgrund des Regelwerks die Hände gebunden sind. Das DEA darf im Ausland keine Einsätze führen – und an diese Regel hält sich der Mann. Regelgetreu ist der Typ also auch noch – da applaudieren wir Deutschen natürlich. Ein anständiger Junge!

Steve Murphy in "Narcos"
Diesen Mann muss man einfach mögen. Liebende Familienväter machen einfach gute Protagonisten (Foto: ©Polyband/WVG).

Good Cop, Bad Cop
Glücklicherweise bleibt es aber nicht bei dieser allzu rosigen Charakterzeichnung. Stattdessen folgen nun einige sehr graue Pinselstriche. Trotzdem muss einfach noch mal hervorgehoben werden, wie wichtig es ist, dass die Figur vorher mit positiven Attributen versehen wird. Sonst würde nun nämlich die Gefahr drohen, dass man den Zuschauer verliert. Wobei auch in den nächsten Szenen immer wieder geschickt dafür gesorgt wird, dass man die Empathie des Publikums für die Figur nicht aufs Spiel setzt.

Ein gutes Beispiel ist das nun folgende Gespräch zwischen Steves Partner Javier Peña und dem Polizisten Carrillo. Steve ist hierbei nur eine kleine Randnotiz. Aber auch die unterstützt dessen Charakterbau. Auf Nachfrage versichert Peña Carrillo, dass Steve sehr wohl weiß, was Carrillo jetzt unternehmen wird (nämlich auf blutige Weise Poison auszuschalten). So unschuldig wie man dachte ist unsere Hauptfigur also nicht. Gleichzeitig schmeißt Peña aber mit vielen deftigen Schimpfwörtern um sich, so dass der Eindruck, dass Steve wohl der nettere des Ermittlerteams ist, subtil verfestigt wird. Ein klein wenig wird so das Bild „Bad Cop, Good Cop“ heraufbeschwört. Richtig spannend wird die Charakterzeichnung von Steve nun aber erst beim folgenden Showdown.

Steve Murphy in "Narcos"
Peña lauscht den Worten von Carrillo. Wenn er nicht gerade mit Schimpfworten um sich schmeißt (Foto: ©Polyband/WVG).

Willkommen in der Grauzone
Wie präsentiert man nun das folgende Gemetzel, in dem Carrillos Truppe ohne Rücksicht auf Verluste in eine Menschenmenge feuert, ohne, dass der Mitinitiator von uns die Moralkeule über den Schädel geschwungen bekommt? Nun, in dem man für die richtige Perspektive sorgt. Bevor unser Polizeikommando loslegt erzählt uns Steve, dass Poison wohl hunderte von Menschen umgebracht hat und das die Bar ein typischer Treffpunkt für die bösen Narcos ist. Womit die moralischen Fragestellungen bezüglich der nun folgenden Aktion natürlich elegant abgemildert werden.

Doch dieser moralische Freibrief ist dann auch der Serie zu plump und so fügt Steve im Anschluss hinzu, dass er die Aktion auch gutheißen würde, wenn Poison keinen Mord begangen hätte. Und das ist ein ziemlich cleverer Schachzug. Auf der einen Seite „verraten“ wir so die Essenz dieser ja doch etwas graugefärbten Figur nicht, schließlich will man hier ja keine Serie über einen Moralapostel drehen. Trotzdem bleibt aber ja die Tatsache bestehen, dass hier ein Killer sein verdientes Schicksal erfährt – womit das Risiko reduziert wird, dass unserem Protagonisten deutlicher Liebesentzug durch das Publikums droht. Oder anders formuliert: man hätte ja tatsächlich hier aus Poison einen „friedfertigen“ Drogenhändler machen können. Stattdessen entscheidet man sich aber für einen wirklichen Bösewicht und nennt das softere Szenario nur als Gedankenspiel. Eben weil man die Hauptfigur nicht frühzeitig beschädigen möchte.

Steve Murphy in "Narcos"
Auch ein Narco muss mal feiern. Doch Carrillos Team entpuppt sich als Stimmungskiller (Foto: ©Polyband/WVG).

Ein Schaf im Wolfspelz
So dreht sich die Charaktereinführung von Steve Murphy vor allem um die Frage, wie man eine Figur im moralischen Graubereich positionieren kann ohne die Empathie des Publikums zu riskieren. Was die Macher dann sogar direkt auf den Punkt bringen. So äußert Steve Murphy Verständnis für die Zuschauer, falls diese ihm nun für dieses Blutbad die Schuld geben. Und dieses Durchbrechen der vierten Wand (der unsichtbare Barriere zwischen Zuschauer und Figur) findet dann ihren Höhepunkt in den letzten Worten Murphys in dieser Einführung: „But don’t call me a bad guy just yet“.

Das ist eine nahezu perfekte Zusammenfassung des Charakterspagats, den die Serie hier bisher hingelegt hat. Es wird deutlich aufgezeigt, dass Steve kein Kind von Traurigkeit ist und durchaus moralische Bedenken zur Seite wischen kann. Aber gleichzeitig werden diese Charaktereigenschaften dadurch moralisch abgefedert, dass wir Steve als liebevollen Familienvater präsentiert bekommen und die Bösen auch als richtig böse gezeigt werden. Und auch wenn man es sich an der ein oder anderen Stelle ein wenig einfach macht (siehe die Babyszene), es ist trotzdem faszinierend zu sehen, wie man hier zwischen den verschiedenen Charakterpolen hin und her navigiert. Wobei auch klar ist, dass die Figur im Laufe der Serie irgendwann einmal wirklich Farbe bekennen muss. Eine Aussicht, die durchaus Lust auf mehr macht. Womit die wichtigste Aufgabe einer Charaktereinführung erfüllt wäre.

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