Abgeschweift

2022 – Top 10

Auch wenn es schmerzt das zu schreiben, 2022 war kein wirklich tolles Filmjahr. Was nicht heißen soll, dass es am Ende nicht doch für eine Top 10 reicht.

So richtig gut fühlte sich das Filmjahr 2022 irgendwie nicht an. Im Vergleich zum Vorjahr ist mein Filmkonsum, zumindest was aktuelle Filme angeht, eher zurückgegangen. Immerhin haben ein paar Werke aus dem Frühling, wenn in Deutschland traditionell die meisten potentiellen Oscar-Kandidaten starten, meine Bilanz und die Chance auf eine halbwegs ordentliche Top10 gerade noch einmal so gerettet. Zugegeben, das ist öfters der Fall. Aber gerade hinten raus gab es eigentlich jedes Jahr immer noch den ein oder anderen spannenden potentiellen Oscar-Kandidaten im Kino oder zumindest bei Streaming-Anbietern zu sehen. Dieses Jahr sieht es hierzu aber irgendwie eher mau aus.

Überhaupt, kaum ein neu erschienener Film hat mich dieses Jahr so wirklich mitgerissen. Für manche mag das große Filmevent “Avatar: The Way of the Water“ gewesen sein, doch auch James Camerons zweiter Ausflug nach Pandora hat mich, bei aller technischer Faszination, eher etwas unterkühlt zurückgelassen. So musste es mal wieder der Serienbereich rausreißen, wo ich mit der ersten Staffel von “Severance“ (AppleTV+) ein kleines Meisterwerk entdecken durfte und Serien wie “Andor“ oder “House of the Dragon“ zumindest richtig ordentliche Unterhaltung boten.

Erfüllender fühlt sich da schon mein neue kleine Leidenschaft an, nämlich ganz tief in der Filmgeschichte zu graben. Es ist bezeichnend für dieses durchwachsene Kinojahr, dass meine schönste Entdeckung des Jahres ein fast 100 Jahre alter Film war. “Ein Mensch der Masse“ (Original: The Crowd) aus dem Jahr 1928 hat mich wie kein anderer Film dieses Jahr bewegt. Die Angst der Hauptfigur nur ein unbedeutendes Rad in einer immer schnelllebigeren Welt zu werden wird dort so einfühlsam und herzzerreißend dargestellt, dass man sich unweigerlich an die besten Filme von Charlie Chaplin erinnert fühlt – nur eben mit deutlich mehr Tragik. Gerade angesichts vieler glattgebügelter Streaming-Eigenproduktionen wird da die wahre Kinomagie zumindest mal wieder für kurze Zeit wiederbelebt. Den kompletten FIlm kann man übrigens kostenfrei hier sehen


Die Einführungsszene von „The Crowd“

Ob es nächstes Jahr besser wird? Die Trailershow vor „Avatar: Way of the Water“ bestand nur CGI-lastigen Superheldenfilmen, was einen dann doch ziemlich ernüchtert zurückläßt. Immerhin kehren mit Christopher Nolan und Denis Villeneuve zwei der zuverlässigsten Regisseure wieder auf die Leinwand zurück. Und die “Mission Impossible“-Reihe war in den letzten Jahren ja eigentlich auch ganz zuverlässig, was ordentliches Entertainment angeht. Dazu steht dann ja noch die Rückkehr meines Jugendhelden Indiana Jones auf dem Menü, auch wenn ich angesichts des Trailers eher etwas besorgt dessen letzten Auftritt erwarte. Hier im Blog wird es auf jeden Fall derweil im neuen Zweimonatsrhythmus mit Beiträgen weitergehen. Das ist nicht gerade ein Content-Feuerwerk, für mich aber zumindest realistisch umsetzbar anhand vieler weiterer Nebenbeschäftigungen. Dafür lohnt es sich aber regelmäßig auf filmszene.de vorbeizuschauen, wo auch weiterhin immer wieder Kritiken von mir erscheinen. Den diesjährigen Output von dort drüben gibt es wie immer am Ende dieses Artikels. Jetzt aber erst mal Vorhang auf für meine Top10 des Jahres 2022.

 

10: Cha Cha Real Smooth

Ein nett gemeinter kleiner Indie-Film, mit dem AppleTV+ gerne an das Wunder von “CODA“ anknüpfen wollte. Funktionierte leider nur bedingt, da die Hauptfigur in “Cha Cha Real Smooth“ eine manchmal etwas zu irritierende dunkle Wolke mit sich trägt, welche der beabsichtigten Leichtigkeit des Filmes ein klein wenig in die Quere kommt. Trotzdem ist die Geschichte rund um einen Jüngling, der auf der Suche nach dem Sinn in seinem Leben sich in die Mutter eines autistischen Mädchens verliebt, immer noch kraftvoll genug, um zumindest ein bisschen in Erinnerung zu bleiben.

Meine Filmszene-Rezension

 

9: Everything Everywhere All at Once

Der diesjährige Überraschungshit aus den Kinos. Von mir erst spät nachgeholt und nach all den Lobpreisungen bin ich vermutlich mit zu hohen Erwartungen reingegangen. Ja, der Film ist auf mutige Art und Weise kreativ und abgedreht. Und immer wieder locken einzelne Einfälle einem hier ein Lächeln ab. Aber bei Puzzleteilen ist es ja auch immer wichtig, dass sie gut zueinander passen. Und hier sind diese manchmal einfach zu random und crazy, um mehr als nur in sich selbst zu funktionieren. Zusammengesetzt ergibt sich für mich ein weniger rundes Bild. Auch wenn das Ende auf einer emotionalen Ebene wegen seiner banalen aber (vermutlich deswegen) trotzdem funktionierend Good-Feel-Botschaft funktioniert. Dank Mut und einigen guten Einfälle reicht es aber trotzdem für meine Top 10.

8: RRR

Der diesjährige Überraschungshit auf Netflix. So richtig warm geworden bin ich mit dem indischen Bollywoodkino nur bedingt (auch wenn das indische Kino, siehe letztjährige Top10, ja durchaus faszinierende Filme zu bieten hat). Und auch das Action-Drama “RRR“ wirkt dank teilweise etwas abrupter Schnitte, seichten Liebessträngen und spontanen Gesangseinlagen oft etwas befremdlich. Aber von der Kreativität, die hier in die Action-Szenen geflossen ist, sollte sich das moderne Action-Kino Hollywoods mal eine gehörige Portion abschneiden. Alleine dafür ist der Film ein Blick wert und auch die zentrale Männerfreundschaft des Streifens funktioniert als emotionale Kern prächtig. Und irgendwie muss man dann doch halt auch grinsen, wenn zwei erwachsene Männer auf einmal spontan und mit Dauergrinsen eine fetzige Tanzeinlage starten.

 

7: Avatar: Way of the Water

Ja, James Cameron zweiter Ausflug nach Pandora ist ein technisches Meisterwerk. Gerade die Wasserlandschaften sind ein absoluter Traum und es zeigt sich auch mal wieder deutlich, dass außer Cameron niemand 3D richtig umsetzen kann. Und selbst die von mir so gehasste HFR-Technik (High Frame Rate), die schon den “Hobbit“ optisch gefühlt den Charme einer Telenovela ausstrahlen hat lassen, ist hier mal so gar nicht störend. Ganz im Gegensatz zur Story, die lieblos aus unterschiedlichen Versatzstücken besserer Filme zusammengeschustert wurde, und das noch deutlich zusammenhangloser als schon im ersten Teil. Die Figur des Spider und warum diese so oft ihre Motivation wechselt ist nur eines von vielen Ärgernissen. Mein Hauptproblem ist vor allem, dass eigentlich keine der Figuren mir so wirklich emotional wichtig war. Was die ganze Sache dadurch eher in Richtung beeindruckende Tech-Demo laufen läßt. Die ist großartig anzuschauen und wird mir schon noch lange Zeit im Gedächtnis bleiben, für eine höhere Platzierung in meiner Top 10 fehlt aber hier einfach ein stabilerer emotionaler Unterbau.

6: Nightmare Alley 

A propos Emotionen, oft wirken mir die Figuren in Filmen von Guillermo del Toro auch etwas zu distanziert. Was auch daran liegt, dass del Toro gefühlt mehr Herzblut in die Atmosphäre seiner Filme investiert als in die Figuren. Dieses Jahr schafft er es aber gleich zweimal in meine Top Ten. Sein bester Film bleibt für mich zwar immer noch “Pans Labyrinth“, doch “Nightmare Alley“ ist zumindest ein netter Zeitvertreib. Das Setting (Wanderzirkus mit extravaganten Protagonisten) ist interessant und die Handlung rund um einen manipulativen Wahrsager, der seine Fähigkeiten am Ende etwas überschätzt, sehr reizvoll. Und einen Film mit Cate Blanchett kann man ja gar nicht nicht mögen. Am Ende fehlt zwar ein wenig die Tiefe und das Ende ist zu vorhersehbar, einen gelungenen Filmabend hat man trotzdem.

5: Guillermo Del Toros Pinocchio

Und da ist er wieder, unser Mexikaner. Diesmal wählt del Toro aber wieder eine Hauptfigur, der ein wenig mehr Schuss Emotion gut getan hätte. Das liegt aber auch an der seriellen Struktur des Pinocchio-Stoffes, der mich eigentlich noch nie so richtig gereizt hat. Besser als hier kann man es aber wohl nicht umsetzen, da del Toro einige interessante zusätzliche Elemente mit einführt, welche die Geschichte gerade auch für Erwachsene reizvoller macht. Es ist aber vor allem die tolle Stop-Motion-Technik, die einen immer wieder mit der Zunge schnallen läßt und die selbst in schwächeren Passagen konstant für Freude sorgt.

Meine Filmszene-Rezension

4: Top Gun: Maverick

Niemand produziert aktuell bessere Action in Hollywood als das Duo Tom Cruise und Christopher McQuarrie. Letzter hat hier zwar im Gegensatz zur “Mission Impossible“-Reihe nur das Drehbuch und eine Rolle als Produzent beigesteuert, doch sein Einfluss auf die Action ist unübersehbar. Die Klarheit und der Respekt für das Publikum sind vor allem bei der zentralen Action-Sequenz spürbar. Die wird vom Film so vorbereitet, dass man als Zuschauer genau versteht was passiert beziehungsweise was gerade schief läuft. Und so generiert man maximale Spannung und einfach gute Unterhaltung. Klasse Action ohne unnötiges Fett, so einen Film hätte ich gerne immer einmal pro Jahr. Und da Cruise und McQuarrie 2023 mit einem neuen “Mission Impossible“-Teil am Start sind, bin ich optimistisch, dass mein Wunsch auch erfüllt wird.

3: Glass Onion: A Knives Out Mystery

Ich hatte jede Menge Spaß mit dem zweiten Auftritt von Daniel Craig als Detektiv Benoit Blanc. Vor allem hat aber auch Craig jede Menge Spaß und der überträgt sich auf das Publikum. So läßt es sich auch verkraften, dass das restliche Figuren-Ensemble dieses Mal etwas uninteressanter und nicht so vielschichtig wie das letztere daherkommt. Für richtig gute Laune ist dank einiger cleverer Einfälle und der flotten Inszenierung trotzdem gesorgt. Wieder ein Film aus der Kategorie leichtfüßiges Entertainment, aber wenn das mit soviel Energie und Intelligenz umgesetzt wird, dann gerne bitte mehr davon.

Meine Filmszene-Rezension

2: Belfast

Kenneth Branagh setzt seiner eigenen Jugendzeit ein Denkmal. Mit viel Wärme und noch mehr Nostalgie gelingt ihm ein schönes Feel-Good-Movie – und das trotz eines eigentlich ziemlich dunklen Settings. Die Spannungen zwischen Protestanten und Katholiken Ende der 1960er Jahre bestimmen hier das angespannte Umfeld, in dem der kleine Buddy das typische emotionale Auf und Ab eines Kindes erlebt. Ein wenig mehr Tiefe habe ich zwar auch hier vermisst, aber dank tollen Nebendarstellern (Judi Dench und Ciarán Hinds) und einer einfühlsamen Regie ist “Belfast“ insgesamt ein sehr schöner Kaminfeuer-Film geworden.

Meine Filmszene-Rezension

1: Licorice Pizza

Von einem Filmliebhaber für Filmliebhaber. Das Werk von Regisseur Paul Thomas Anderson sprüht gerade so von Liebe für das Kino und ist so etwas wie mein kleiner emotionaler Lichtblick in einem eher mauen Filmjahr. Wundervolle Figuren und viele leicht abgedrehte Szenen, die aber nie den emotionalen Kern der Geschichte gefährden und einen immer wieder zum Schmunzeln bringen. Die Coming-of-Age-Geschichte eines 15jährigen Nachwuchsschauspielers, der sich in den 1970ern in ein 25jähriges Mädchen verliebt ist gespickt mit so vielen wundervollen kleinen und großen Momenten. Vor allem aber eben jeder Menge Leidenschaft und dem Herzblut eines Filmemachers, der im Vergleich zu dem großen Rest der Branche noch wirklich Wert auf gute Geschichten und einfühlsam portraitierte Figuren legt.

 

Und sonst noch?

Das ich noch ein paar mehr Filme angeschaut habe läßt sich drüben auf filmszene.de gut nachvollziehen. Leider waren aber zu viele davon eher seelenlose Massenware der Streamingdienste (“Der Spinnenkopf“, “Gray Man“ oder “Samaritan“). Dabei habe ich nicht das Gefühl, dass ich wirklich viele tolle Filme verpasst habe. Wobei ich mir den von vielen gelobten neuen “Batman“ nicht angeschaut habe, aber mit Superheldenfilmen habe ich jetzt langsam einfach abgeschlossen. Dieses Genre gehört einfach zurechtgestutzt, doch das dessen Dominanz in den nächsten Jahren nachläßt ist wohl eher Wunschdenken. Das große Serienduell zwischen “House of the Dragon“ und “Herr der Ringe: Die Ringe der Macht“ hat für mich derweil einen klaren Sieger, da Amazons Melkanlage aus Tolkiens Vorlage nicht viel mehr als tolle Bilder kreieren kann. Wer eine tolle Serie sehen will, soll sich bitte zu AppleTV+ begeben und dort “Severance“ anschauen – am Besten ohne jegliche Spoiler. Positiv möchte ich auch noch Disneys “Star Wars: Andor“ hervorheben, einfach nur weil es mir ein klein wenig Hoffnung gibt, dass diese Franchise-Produktionsmaschinen doch auch zwischendrin mal Qualität produzieren können. Für alles weitere einfach auf die nun folgenden Kritiken (inklusive Wertung) klicken, viel Spaß beim Lesen und einen guten Start in 2023.

Filme
Big Bug (4/10)
Tiefe Wasser (4/10)
Belfast (8/10)
All the Old Knives (5/10)
Cha Cha Real Smooth (7/10)
Der Spinnenkopf (4/10)
Thor: Love and Thunder (6/10)
Das Seeungeheuer (7/10)
The Gray Man (6/10)
Samaritan (5/10)
The Greatest Beer Run Ever (4/10)
Good Night Oppy (6/10)
Glass Onion: A Knives Out Mystery (8/10)
Guillermo Del Toros Pinocchio (8/10)

Serien
Severance (Staffel 1)
WeCrashed
Light & Magic
House of the Dragon (Staffel 1, Folge 1-6)
Andor (Staffel 1, Folge 1-4)
Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht (Staffel 1)

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